http://www.berliner-zeitung.de/berlin/verkehr/175-jahre-ostbahnhof-der-grosse-absteiger-unter-den-berliner-bahnstationen-28078642?dmcid=nl_20170728_28078642
Die Vögel wissen, dass sie jetzt erst einmal nicht gestört werden. Der nächste Zug nach Frankfurt (Oder) soll erst in einer halben Stunde fahren, der Bahnsteig am Gleis 1 des #Ostbahnhofs ist wieder menschenleer. Ein Trupp Tauben macht sich gelassen trippelnd auf den Weg, um alle Bereiche nach Essbarem abzusuchen. In aller Ruhe picken sie die fettigen Krümel auf, die von einem Croissant übrigblieben. Danach inspizieren sie die anderen Sitzbänke. Wenn der nächste Zug einfährt und erneut Menschen auftauchen, sitzen die Vögel bereits im Hallendach und verdauen. Weißbraune Kotkleckse sprenkeln das Geländer an der Treppe nach unten.
Im Ostbahnhof, der in wenigen Wochen 175 Jahre alt wird, ist es ruhig geworden. Er ist der große #Absteiger unter den Berliner Bahnstationen. Selbst im Bahnhof #Lichtenberg, der ebenfalls einige Verluste verkraften musste, ist mehr los als hier. In Lichtenberg wurden im vergangenen Jahr pro Tag im Schnitt rund 74.000 Fahrgäste und Besucher gezählt, im Ostbahnhof 72.000 „Dies ist ein wichtiger Bahnhof“, sagt Matthias Scholz von Station & Service. „Aber er hat an Bedeutung verloren.“ Vom dazugehörigen Minerva-Hochhaus, in dem der Bahnhofsmanager arbeitet, hat er eine gute Aussicht: auf die Halle, die wie ein stählernes Gürteltier aussieht, auf das Empfangsgebäude mit der zwölf Meter hohen Glasfassade.
Es riecht nach Bier
In der Grünanlage davor sind schlafende Wohnungslose zu erkennen, auf dem mehrspurigen Stralauer Platz rollen Massen von Autos vorbei. Selten biegt eines zum Bahnhof ab. ICE- und Regionalzüge fahren ein und aus, S-Bahnen schlängeln sich daneben durch. 322.000 Zughalte wurden 2016 gezählt. Trotzdem, es ist so: Früher war dieser Bahnhof wichtiger – ein Aufsteiger.
Zu Beginn war die Gegend ein Idyll. Berliner kamen hierher, um inmitten von Feldern mit duftenden Hyazinthen und Tulpen Kaffee zu trinken. Aber dann erfuhren die Moewes, die Bouchés und die anderen Gärtner vor dem Frankfurter Tor von dem Plan, eine Schienenstrecke zu bauen – mit einem #Kopfbahnhof an der Koppenstraße, die damals noch innerhalb der Stadtmauer lag.
Ihr Argwohn bestand zu Recht, wie sich zeigte, nachdem der #Frankfurter Bahnhof am 23. Oktober 1842 eröffnet worden war. Die Anlage, die später auch als #Niederschlesisch-Märkischer Bahnhof bezeichnet wurde, wuchs rasch. 1881 bekam sie eine zweite Halle und einen neuen Namen: #Schlesischer Bahnhof. Dabei fuhren dort nicht nur Züge nach Breslau ab, sondern auch nach Königsberg, Sankt Petersburg. Ab 1882 ging es auch nach Westen: Seitdem ist dies ein #Durchgangsbahnhof.
Felder und Gärten machten übervölkerten Mietshäusern Platz. Hunderttausende aus dem Osten kamen hier an: arme Landarbeiter, Frauen, die eine „Stellung“ in einem Haushalt suchten, Handwerker, denen die Industrialisierung …
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …