Straßenverkehr + Bus: Grundrecht Parkplatz? – Geht der Erhalt von Parkplätzen vor Verkehrssicherheit und ÖPNV-Beschleunigung?, aus Senat

07.07.2023

Frage 1:
Welche bundes- und landesrechtlichen Vorschriften gelten für die #Planung und #Anordnung von #Verkehrsinfrastrukturen, und welche Grundsätze bezüglich erforderlichen #Abwägungen der verschiedenen Belange, die in einer Planung miteinander in Einklang gebracht werden müssen, beispielsweise #Verkehrssicherheit, #Parkplatzangebot, #Leistungsfähigkeit für den fließenden Verkehr (#MIV, #Wirtschaftsverkehr, Rad- und #Fußverkehr
und #ÖPNV), ökologische Aspekte, Klimaanpassung etc., sind dabei zu beachten?


Antwort zu 1:
Die Verkehrsinfrastruktur umfasst sämtliche physischen Komponenten einer Infrastruktur, die
unter anderem das Straßen- und Schienennetz und die Wasserstraßen mit allen Brücken,
Tunnel, Haltestellen, Häfen und sonstigen Bauwerken und Anlagen sowie Beschilderungen,
Fahrbahnmarkierungen etc. umfasst.
Diesbezüglich gelten besondere bundes- oder landesgesetzlichen Fachregelungen. Für den
Bau oder die Änderung von Verkehrswegen ist in vielen Fällen eine Planfeststellung oder
Plangenehmigung erforderlich. Beispielsweise gilt für Straßen § 17 S. 1
Bundesfernstraßengesetz bzw. § 22 Berliner Straßengesetz, für den Bau von Eisenbahnen § 18
Allgemeines Eisenbahngesetz, für Straßenbahnen § 28 Abs. 1 S. 1
Personenbeförderungsgesetz, für den Aus- oder Neubau von Bundeswasserstraßen § 14 Abs. 1
S. 1 Bundeswasserstraßengesetz und für Flughäfen § 8 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz.
2
In den vorgenannten und den sonstigen Planungsverfahren besteht jeweils regelmäßig ein
weites Planungsermessen. Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere im Rahmen der
Abwägung zu berücksichtigen, dass das einschlägige Fachplanungsgesetz besondere
Planungsschranken aufstellen kann, beispielsweise die Bindung an die Linienführung durch den
Bundesminister für Verkehr, § 16 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz (FStrG). Als
Ermessensgrenzen sind auch stets die Grundrechte der durch den Plan betroffenen Personen zu
beachten. Zudem kann der Gesetzgeber die Ausübung des Planungsermessens in bestimmte
Richtungen leiten, indem er im jeweiligen Fachplanungsgesetz besondere
Entscheidungsprogramme vorgibt. Im Übrigen folgen Abwägungs- und Optimierungsgebote
auch allgemein aus dem Umweltrecht, insbesondere aus dem Bundesimmissionsschutzgesetz
und dem Bundesnaturschutzgesetz.
Das Ziel des Abwägungsvorgangs ist es, eine gerechte Abwägung aller wesentlichen
Gesichtspunkte zu ermöglichen. Zur Präzisierung hat die Rechtsprechung einige Grundsätze
entwickelt: Danach muss (erstens) eine Abwägung überhaupt stattfinden, (zweitens) in die
Abwägung an Belangen eingestellt werden, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss
sowie (drittens) weder die Bedeutung der öffentlich und privaten Belange verkannt, noch
(viertens) der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen werden, die zur objektiven
Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (BVerwG, NJW 1975, 1373). Die
Planfeststellungsbehörde hat unter Zurückstellung der als weniger gewichtig bewerteten
Belange zu entscheiden.
Je schwerer die Beeinträchtigung der Belange der von der Planung Betroffenen wiegt, umso
gewichtiger müssen die am gesetzlichen Planungsziel orientierten Belange sein, die für das
Vorhaben streiten.
Frage 2:
Wie muss ein Abwägungsprozess erfolgen und dokumentiert werden, um eine rechtssichere Planung, die auch
gerichtlichen Überprüfungen standhält, zu garantieren?
Antwort zu 2:
Der Abwägungsprozess erfolgt nach den oben genannten Grundsätzen. Bei
planfeststellungsbedürftigen Anlagen ist hinsichtlich der Dokumentation zunächst auf § 73 Abs.
4 S. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz hinzuweisen, wonach Einwendungen gegen den
ausgelegten Plan schriftlich oder zur Niederschrift bei der Anhörungsbehörde oder bei der
Gemeinde, die den Plan ausgelegt hat, erhoben werden müssen. Hinsichtlich des
Planfeststellungsbeschlusses gilt das Bestimmtheitserfordernis aus § 37 Abs. § 1
Verwaltungsverfahrensgesetz.
3
Frage 3:
Liegt ein Abwägungsausfall vor, wenn vorab ohne Betrachtung des konkreten Einzelfalls und ohne Abwägung der
sonstigen Bedarfe und Interessen, pauschal für alle verkehrlichen Planungen und Anordnungen entschieden wird,
dass keine oder nur eine bestimmte Anzahl von Parkplätzen entfallen darf?
Antwort zu 3:
Ein Abwägungsausfall kann denklogisch erst vorliegen, wenn die Planungsbehörde eine
abschließende Entscheidung über eine geplante Maßnahme trifft. Ein solcher
Verfahrensabschluss liegt aber nicht vor, wenn die Planungsbehörde aus einer Vielzahl
laufender Planungsverfahren einige Verfahren herausfiltert, um diese dann einer besonderen
Überprüfung zu unterziehen. Die Bestimmung der für diese Auswahl maßgeblichen Kriterien
stellt keine Abwägungsentscheidung in diesem Sinne dar.
Im Übrigen liegt ein Abwägungsausfall regelmäßig vor, wenn die Planungsbehörde verkennt,
dass eine Abwägung zu erfolgen hat, z.B. auch dann, wenn die Behörde sich rechtsirrig für
gebunden hält. Der Fall, dass im Rahmen der Abwägung nicht alle abwägungsrelevanten
Belange ermittelt und in die Abwägung eingestellt werden, wird stattdessen als
Abwägungsdefizit bezeichnet.
Frage 4:
Welche Konsequenzen können aus einem Abwägungsausfall folgen, wenn entsprechende Planungen gerichtlich
beanstandet werden?
Antwort zu 4:
Behördliche Maßnahmen können grundsätzlich erst dann gerichtlich beanstandet werden, wenn
eine abschließende Entscheidung getroffen wurde bzw. deren Umsetzung erfolgte. Ein
vorbeugender Rechtsschutz ist nur ausnahmsweise für den Fall zulässig, dass auch
verwaltungsgerichtlicher Eilrechtschutz keinen hinreichenden Schutz böte.
Frage 5:
Wie stellt der Senat die #Beschleunigung des ÖPNV sicher, insbesondere die Ausweisung zusätzlicher
Bussonderfahrstreifen?
Frage 6:
Wie soll in Vorhaben im Sinne der Frage 5 vorgegangen werden, wenn die Ausweisung von #Bussonderfahrstreifen
nur zulasten vorhandener #Fahrstreifen und/oder Parkplätzen erfolgen kann?
4
Antwort zu 5 und 6:
Die Fragen 5 und 6 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Eine rechtssichere Beschleunigung des ÖPNV ist Ziel des Berliner Senats. Diese kann sowohl
durch straßenverkehrsbehördliche als auch bauliche Maßnahmen erreicht werden.
Welche Maßnahme im Einzelfall sinnvoll und erforderlich ist, wird straßenverkehrsbehördlich
auf der Grundlage der #Straßenverkehrs-Ordnung (#StVO) und unter Beachtung des Grundsatzes
der #Verhältnismäßigkeit geprüft. Einbezogen und miteinander abgewogen werden hierbei die
örtlichen und verkehrlichen Gegebenheiten, die dargelegten Beeinträchtigungen des ÖPNV
sowie evtl. Auswirkungen auf die Interessen aller am Verkehr Teilnehmenden.
Frage 7:
Gibt es einen individuellen, rechtlich einklagbaren Anspruch auf Parkplätze bzw. Parkraum im öffentlichen Raum
im näheren Umfeld um den jeweiligen Wohnort oder Arbeitsplatz einer Person?
Antwort zu 7:
Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie
oder Phokomelie oder mit vergleichbaren Funktionseinschränkungen sowie blinde Menschen
haben gegenüber der Straßenverkehrsbehörde Anspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung, ob ihnen vor der Wohnung und/oder der Arbeitsstätte ein Parkplatz
vorzubehalten ist. Rechtsgrundlage für die Erteilung einer entsprechenden
Sonderparkberechtigung ist § 45 Abs. 1b S. 1 Nr. 2 StVO (BVerwG, NJW 1995, 473); im Falle
einer Reduzierung des verkehrsbehördlichen Regelungsermessens auf Null, besteht ein
unmittelbarer Anspruch.
Frage 8:
Wie viele Parkplätze gibt es in Berlin im öffentlichen Raum, welche Erhebungen oder Erkenntnisse bezüglich des
Parkplatzangebots im öffentlichen Raum liegen dem Senat für einzelne Bezirke oder Stadtteile vor?
Antwort zu 8:
In Berlin sind die Bezirke für den ruhenden Verkehr verantwortlich.
Daher liegen dem Senat bisher keine flächendeckenden Daten vor.
5
Frage 9:
Wie viele Parkhäuser gibt es in Berlin und wie schätzt der Senat deren durchschnittliche Auslastung ein?
Antwort zu 9:
Das Land Berlin besitzt und betreibt keine öffentlichen Parkhäuser. Im Übrigen wird auf die
Antwort auf die Fragen 1 bis 4 der Schriftlichen Anfrage Nr. 19/11739 verwiesen.
Dem Land Berlin liegen keine Daten zur Auslastung der Parkhäuser vor.
Frage 10:
Wie viele Parkplätze im privaten oder halböffentlichen Raum gibt es in Berlin?
Antwort zu 10:
Für private Parkflächen liegen keine Daten vor. Flächen sind i.d.R. nicht zugänglich und somit
nachträglich nicht einfach zu erfassen.
Frage 11:
Wie schätzt der Senat insgesamt das Angebot an öffentlichen, halböffentlichen und privaten Parkmöglichkeiten
ein?
Frage 12:
Auf welchen Zahlen, Daten und Erkenntnissen beruht diese Einschätzung im Sinne der Frage 11?
Antwort zu 11 und 12:
Die Fragen 11 und 12 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Da die Daten für öffentliche Parkflächen im Straßenland derzeit nicht flächendeckend
vorliegen (siehe Antwort zu Frage 8) und das private Angebot nicht bekannt ist (siehe Antwort
zu Frage 10) können hierzu keine datenfundierten Aussagen gemacht werden.
Frage 13:
Wie definiert der Senat Parkdruck und wie wird dieser festgestellt? In welchen Berliner Bezirken bzw. Ortsteilen /
Gebieten herrscht hoher Parkdruck, wo niedriger Parkdruck?
6
Antwort zu 13:
Vor Einführung von Parkraumbewirtschaftungszonen werden im Rahmen von
Machbarkeitsstudien Parkdruck und Nutzerkonkurrenz als Voraussetzungen für eine
Bewirtschaftung untersucht.
Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) empfiehlt einen Grenzwert
von 80 % Auslastung1
, an dem sich beauftragte Planungsbüros i.d.R. unter Berücksichtigung
lokaler Gegebenheiten und Planungen orientieren.
Frage 14:
Welche Möglichkeiten sieht der Senat den Parkdruck zu verringern?
Antwort zu 14:
Die verkehrsplanerischen Möglichkeiten sind vielfältig und einander ergänzend. Sie reichen von
einem weiteren Ausbau des Umweltverbunds über eine effizientere Nutzung bestehender
Angebote im privaten bzw. halböffentlichen Raum bis hin zu einer Bewirtschaftung von
Parkständen in dichten Zentren.
Frage 15:
An welchen Straßenabschnitten, Plätzen und Örtlichkeiten in Berlin beabsichtigt der Senat zusätzlichen Parkraum
zu schaffen?
Frage 16:
An welchen Straßenabschnitten, Plätzen und Örtlichkeiten in Berlin beabsichtigt der Senat vorhandenen Parkraum
zu reduzieren?
Frage 17:
Welche Flächen stehen nach Einschätzung des Senats zur Verfügung und eignen sich für die Schaffung von
zusätzlichem Parkraum?
1 FGSV: Empfehlungen für Verkehrserhebungen (EVE). Köln 2012, S. 42
7
Antwort zu 15 bis 17:
Die Fragen 15 bis 17 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Dem Senat liegen hierzu keine Angaben vor. Straßenabschnitte werden anlassbezogen
(Sanierung/Grundinstandsetzung, straßenverkehrsbehördliche Anordnungen) gemäß den
jeweils geltenden Standards geplant.
Siehe im Übrigen die Antwort zu Frage 8.
Frage 18:
In welchem Verhältnis stehen Parkraum, Raum für neuen Wohnungsbau, Platzbedarfe für Spielplätze und
Sportflächen und Grünflächenbedarfe zueinander, und wie werden diese untereinander abgewogen und
priorisiert?
Frage 19:
Welchem Grundsatz folgt der Senat bei der Verteilung des öffentlichen Raumes im Land Berlin?
Antwort zu 18 und 19:
Die Fragen 18 und 19 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.
Die genannten Platzbedarfe und Nutzungsarten beziehen sich auf den gesamten öffentlichen
Raum. Derartige Sachverhalte werden über die gesamtstädtischen Planwerke erarbeitet und
festgelegt, daher wird auf die gültigen Flächennutzungs- und Stadtentwicklungspläne (Wohnen
2030, Mobilität und Verkehr, Klima 2.0, Zentren 2030, Wirtschaft) und die dortigen Vorgaben
verwiesen.

Berlin, den 06.07.2023
In Vertretung
Dr. Claudia Elif Stutz
Senatsverwaltung für
Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt

www.berlin.de