06.10.2023
Liebe VIV-Mitglieder,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Alte Vorurteile werden nun wieder bedient werden: Berlin, hoch verschuldet und #Nehmerland im Finanzaus-gleich, leistet sich den Luxus, allen Bürgerinnen und Bürgern den ÖPNV für 0,95 € pro Tag anzubieten. Das macht #29 € im Monat und 348 € im Jahr – liegt also unterhalb des oft geforderten #365 €-Tickets.
Gestattet sei die Frage, ob uns der gesamte Berliner ÖPNV im Tarifgebiet AB wirklich nur 95 ct am Tag wert ist?
Allzumal dies „mit der #Gießkanne“ für alle gilt und sozial Bedürftigen weiterhin (und richtigerweise) noch güns-tigere Angebote gemacht werden.
Unstrittig dürfte sein, dass das Angebot im Bereich AB sehr gut ist. Ja, in #Außenbezirken wird es „dünner“, aber ein 20-Minuten-Takt würde in Teilen des Tarifgebiets C oder gar „auf dem Land“ als purer Luxus empfunden. Und wenn wir uns ehrlich eingestehen: Das bisherige Modell „12 Meter-Bus fährt alle 20 Minuten von fünf bis Mitternacht“ für eine sehr überschaubare Zahl von Fahrgästen ist Luxus. Oder, je nach Standpunkt, Daseinsvor-sorge. Na klar, 20 Minuten Warten sind auf dem Weg in den Feierabend superärgerlich, wenn der BVG-Bus abfährt, weil IT-technisch zwischen den beiden Verkehrsunternehmen keine Meldung kommt: „S-Bahn kommt zwei Minuten später aus der Innenstadt. Warte!“.
Aber ist für die #Verkehrsmittelwahl, Stichwort #Verkehrswende, wirklich der Preis das ausschlaggebende Mo-ment? Experten würden das wohl verneinen, denn Sicherheit, Komfort und Takt werden ebenso hoch oder hö-her bewertet. Sofern das eigene Auto vor der Tür steht, spielen neben den harten Fakten wie Takt und Verläss-lichkeit auch „soft skills“ eine Rolle: Wird die Fahrt als sicher empfunden? Als komfortabel? Ist es angenehm, ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen? Ist es einfach? Sehr viele, zu viele, verneinen die Antworten auf diese Fragen.
Dies liegt, soviel Ehrlichkeit muss sein, nicht nur an den Verkehrsunternehmen, sondern auch an den Nutzerin-nen und Nutzern des #ÖPNV: denn es sind sie, die den Müll liegenlassen, Anlagen beschmieren oder sich im Fahrzeug anderen gegenüber respektlos und/oder unhöflich benehmen. Nein, natürlich, gottseidank, nur die Wenigsten.
Es steht also zu befürchten, dass das zentrale Wahlkampfprojekt einer Regierungspartei nicht zu mehr Fahrgäs-ten, sondern zu Einnahmeausfällen führt, die zum Erhalt des Angebots, dem Erhalt und Ausbau bestehender Anlagen eigentlich dringend gebraucht würden. Und ohne zynisch sein zu wollen: an mancher Stelle sind mehr Fahrgäste eigentlich gar nicht erwünscht. Fragen Sie mal Nutzerinnen und Nutzer der U5 oder der M4. Hier wären mehr Kapazitäten gefragt und die kosten, Sie ahnen es, Geld.
Freundliche Grüße
Michael Rothe