Bahnhöfe: Frisches Geld für den Hauptbahnhof, aus Berliner Morgenpost

http://www.morgenpost.de/content/2006/08/30/
berlin/850830.html

Nach den ersten 100 Tagen: Land will weitere sechs Millionen Euro in Umfeld investieren
Von Andrea Puppe

100 Tage Hauptbahnhof nahmen die Deutsche Bahn AG und Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) gestern zum Anlass, eine erste Bilanz für den neuen Halt und seine Umgebung zu ziehen. Drei Monate nach der Eröffnung haben rund 30 Millionen Menschen den Eisenbahnknotenpunkt besucht, berichtete Wolf-Dieter Siebert, Vorstandsvorsitzender der DB Station & Service AG. Pro Tag kämen 300 000 Menschen, von denen 150 000 bis 200 000 Fahrgäste seien. Um etwa 20 Prozent ist seit der Eröffnung des neuen Nord-Süd-Tunnels der Fahrgastanteil auf der Stadtbahn und ihren Haltepunkten Ostbahnhof und Zoologischer Garten zurückgegangen. Mit dem Fahrplanwechsel Ende Mai hatte die Bahn AG einen Großteil der Fernzüge in den Nord-Süd-Tunnel verlegt und den Bahnhof Zoo auch für die auf der Stadtbahn verkehrenden Linien vom Fernnetz abgekoppelt.
„Wir leben sehr gut mit dieser Entscheidung. Eine „Abstrafung‘ durch unsere Kunden können wir nicht feststellen“, sagte Siebert. Noch immer zähle man am Zoo 100 000 Fahrgäste, etwa 20 000 bis 30 000 weniger als zu Zeiten, als noch IC und ICE hielten. Absolute Zahlen zum neuen Südkreuz blieb Siebert schuldig. „Er wurde zunächst nicht so gut angenommen, das ändert sich inzwischen“, sagt er.
Pastorin Helga Frisch, die unermüdlich für einen Fernbahnhof Zoo kämpft, meint, dass die Bahn eventuelle Fahrgasteinbußen am Zoo überhaupt noch nicht ausweisen könne. „Die Zahlen werden doch von der Fußballweltmeisterschaft und der Love Parade überlagert“, meint sie.
Senatorin Junge-Reyer wies darauf hin, dass bereits 16 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt in die Erschließung und das Umfeld des Bahnhofes geflossen seien. „Wir werden weitere sechs Millionen Euro investieren“, kündigte sie an. Außerdem hätten sich die großen Grundstückseigentümer rund um den Hauptbahnhof – Deutsche Bahn AG, Vivico und Aurelis – zu einem gemeinsamen Entwicklungsmanagement entschlossen. „Ich kann mir hier zum Beispiel Wohnen am Wasser vorstellen“, sagte die Senatorin.
Auf den weiteren Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr muss jedoch noch gewartet werden. Die Fertigstellung der Nordanbindung mit der S-Bahnlinie 21 ist erst für 2010/12 vorgesehen und auch die Straßenbahngleise müssen erst vom Nordbahnhof über die Invalidenstraße gelegt werden.
Jens Wiesecke vom Fahrgastverband IGEB kritisiert, dass sich sämtliche Werbung auf den Hauptbahnhof konzentriere. „Man muss den Reisenden aus dem Süden klarmachen, dass beispielsweise für den Zielbahnhof Leipzig der Bahnhof Südkreuz der beste Ausgangspunkt ist“, erläutert er.
Die Entscheidung der Bahn, am Zoo die auf der Stadtbahntrasse verbliebenen Fernzüge vorbeifahren zu lassen, findet der IGEB falsch. „Hier ignoriert man die Wünsche von 100 000 Kunden“, meint Wiesecke. Die Verbesserungen am Hauptbahnhof – ein Drittel mehr Servicekräfte (60 Mitarbeiter), mehr Informationsschilder und Bänke – genügen dem IGEB noch nicht. „Es fehlen Hinweise auf den Nahverkehr“, sagt Wiesecke. Nach wie vor ärgert ihn, dass Fahrgäste der 1. Klasse wegen des verkürzten Glasdaches oberirdisch ebenso wie auf den Bus Wartende am Washingtonplatz im Regen stehen. Die für das oberirdische Dach angefertigten Teile lagern ein und sollen nach den Worten Sieberts für etwas verwendet werden, das „den Berlinern hoffentlich Freude macht“.
Dass das Wegeleitsystem nicht optimal ist, erlebte Junge-Reyer hautnah: „Können Sie mir sagen, wo die Toiletten sind?“ wandte sich eine ältere Dame an die Senatorin. Diese musste passen.

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