Flughäfen: Klimabelastung durch den Berliner Luftverkehr: ein systematisch unterschätztes Umweltproblem?, aus Senat

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Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre
Schriftliche Anfrage wie folgt:
1. Welche zentralen Erkenntnisse zur Klimabelastung
durch den Berliner Luftverkehr hat der Senat aus dem
Endbericht der wissenschaftlichen Studie zum „Berliner
Energie- und Klimaschutzprogramm“ (BEK) vom November
2015 gewonnen?
Zu 1.: Alle belastbaren Klimaschutzszenarien weisen
darauf hin, dass unsere Gesellschaft bis zum Jahr 2050
weitgehend dekarbonisiert sein muss und deshalb arbeitet
der Senat intensiv darauf hin, Berlin bis 2050 klimaneutral
werden zu lassen. Für den Verkehrssektor ist eine
weitreichende Trendänderung erforderlich, da sich bisher
keine Abschwächung des Verkehrswachstums zeigt. Insbesondere
im wachsenden Luftverkehr mit entsprechend
negativen Klimaauswirkungen besteht erheblicher Handlungsbedarf.
Der Luftverkehr hat schädliche Folgewirkungen
für Umwelt und Gesundheit durch die Treibhausgas-,
Schadstoff- und Lärmemissionen. Um den klimaschutzpolitischen
Anforderungen an den Verkehrssektor
gerecht zu werden und die Wettbewerbsbedingungen
zwischen den Verkehrsträgern zu harmonisieren, bedarf
es einer ordnungspolitischen Gestaltung der Luftverkehrsentwicklung
sowie der Aufhebung der wettbewerbsverzerrenden
Subventionierung des Flugverkehrs. Denn
die Situation der im intermodalen Wettbewerb stehenden
Verkehrsträger (Straßen-, Eisenbahn-, Schiffs- und Flugverkehr)
ist sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr
auf Grund von fiskalischen Regulierungen unterschiedlich.
Der nichtelektrifizierte Schienenverkehr muss
in Deutschland Mineralöl- und Ökosteuer entrichten und
im elektrifizierten Schienenverkehr wird der Strom sowohl
energiesteuerlich als auch durch den Emissionshandel
belastet. Zudem werden in Deutschland Fernverkehrstickets
der Bahn mit der vollen Umsatzsteuer besteuert,
dagegen sind Tickets für Auslandsflüge von der Umsatzsteuer
befreit. Derartige Regulierungen wirken dem Ziel
der Minderung von THG1
-Emissionen entgegen.

1 Treibhausgas
Der Senat hat sich deshalb bereits in der Vergangenheit
im Bundesrat (BR) wiederholt für eine Angleichung der
Wettbewerbsbedingungen auf dem Verkehrsmarkt eingesetzt
und wird dies weiterhin tun. Zu den wichtigsten
verkehrspolitischen Positionierungen der EUKommission
der letzten Jahre, das Weißbuch Verkehr in
2011 und die Mitteilung zum nachhaltigen Verkehr in
2009, gehen die Stellungnahmen des Bundesrates auf
Anträge Berlins zurück und fordern die Begrenzung des
Luftverkehrswachstums insbesondere durch den Abbau
steuerlicher Verzerrungen (vgl. BR-Drs. 179/11 (Beschluss)
und BR-Drs. 603/09 (Beschluss)).
2. Welche Klimabelastungen gehen nach den letzten
vorliegenden Daten vom Verkehrssektor im Land Berlin
aus? Welchen Anteil daran haben der Flugverkehr und die
weiteren Bereiche?
Zu 2.: Auf Basis der für das Jahr 2013 vorliegenden
Energie- und CO2-Bilanz des Landes Berlin war der
Verkehrssektor für 5,1 Mio. Tonnen der CO2-Emissionen
aus dem Endenergieverbrauch (Verursacherbilanz) und
somit für 24,5% der Gesamtemissionen verantwortlich.
Auf den Luftverkehr entfielen 0,98 Mio. Tonnen und
somit 4,7% der Gesamtemissionen. 
3. Wie hat sich der Berliner Nutzeranteil an den Flughäfen
Tegel und Schönefeld seit 2010 bzgl. Passagieren
und Luftfracht entwickelt (bitte jahresweise Angaben je
Flughafen)?
8. Welchen Anteil hätten die aktuellen Klimabelastungen
des gesamten Berliner Luftverkehrs (siehe Frage 3)
an den gesamten CO2eq-Verkehrsemissionen des Landes
Berlin bei Zugrundelegung auch nur eines mittleren atrFaktors
von 5 für die verbleibenden 33 Jahre bis 2050?
Zu 3. und 8.: Dem Senat liegen entsprechende Angaben
nicht vor.
4. Wird der Senat im künftigen BEK auch die Berliner
Nutzungsanteile am Flughafen Schönefeld (SXF) und
nach der Eröffnung des Flughafens BER auch die aus
Tegel (TXL) verlagerten Berliner Fluggäste und Luftfrachtanteile
im Sinne einer Verursacherbilanz berücksichtigen?
Wenn ja wie, wenn nein warum nicht?
Zu 4.: Mit der zukünftigen Schließung des Flughafens
Tegel und der Inbetriebnahme des Flughafens Berlin
Brandenburg (BER) sind gemäß der statistischen Methodik
die CO2-Emissionen nach dem Territorialprinzip dem
Land Brandenburg zuzurechnen. Im Berliner Energieund
Klimaschutzprogramm (BEK) wurden die CO2-
Emissionen des Luftverkehrs nicht ausschließlich nach
dem Territorialprinzip bewertet, da der Senat entsprechend
dem Verursacherprinzip eine anteilsmäßige Berücksichtigung
des Energieverbrauchs sowie der CO2-
Emissionen für angemessen hielt. Im Rahmen der wissenschaftlichen
Studie zum Endbericht über einen Entwurf
für ein Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm
wurde angenommen, dass 70 % der zukünftigen Energieverbräuche
des BER dem Land Berlin zugerechnet werden
(Reusswig et al. 2014).
5. Wie sollte aus Sicht des Senats der Berliner Anteil
an den Flugbewegungen in der Klimabilanz des Landes
bzw. im BEK berücksichtigt werden? Nur die durch Einwohner
(und Luftfracht) des Landes Berlins verursachten
Belastungen oder auch die Berlin zuzurechnenden inländischen
und ausländischen Touristenbewegungen?
Zu 5.: Die Ermittlung der CO2-Emissionen im Luftverkehr
erfolgt im Rahmen der statistischen Erhebung
über die abgesetzten Kraftstoffe des jeweiligen Bundeslandes
nach dem Territorialprinzip. Die Methodik wird
durch den Länderarbeitskreis Energiebilanzen bundeseinheitlich
geregelt. Eine ganzheitliche Berechnung der luftverkehrsbedingten
THG-Emissionen auf Basis von zurückgelegten
Personenkilometern der Berliner Einwohner
und Besucher bzw. Frachtkilometer (abgehende Flüge)
wäre sachgerechter, ist aber aufgrund der fehlenden nationalen
Berechnungsmethodik sowie des Erhebungsaufwandes
derzeit nicht anwendbar.
6. Wie beurteilt der Senat die Aussage im „Exkurs
zum Luftverkehr“ des in Frage 1. genannten Berichts,
dass bei Berücksichtigung der zusätzlichen Klimabelastungen
durch sogenannte „non-CO2–Emissionen“ (Wasserdampf,
Stickoxyde, Kondensstreifen/Zirren etc.) in
großen Flughöhen („Radiative Forcing Index“ RFI-Faktor
3) bereits 2012 der Luftverkehr am Flughafen Tegel mehr
als 40 Prozent der gesamten Klimabelastungen des Verkehrssektors
in Berlin verursachte?
Zu 6.: Der Luftverkehr trägt zum anthropogenen Klimawandel
bei. Der Senat hält es daher grundsätzlich für
sachgerecht, alle im Luftverkehr verursachten klimarelevanten
Emissionen (Kohlendioxid, Stickoxide, Schwefeloxide,
Wasserdampf, Ruß, Kondensstreifen und Zirren)
zu ermitteln. Dies ist allerdings im Rahmen des BEK
nicht leistbar, da sich die im § 3 Energiewendegesetz
Berlin (EWG Bln.) festgesetzten Klimaschutzziele ausschließlich
auf die durch den Verbrauch von Endenergie
im Land Berlin verursachten Emissionen von Kohlendioxid
(CO2) nach der amtlichen Methodik zur Verursacherbilanz
des Landes Berlin (§ 2 Abs. 1 EWG Bln.) beziehen
und des Weiteren über die exakte Höhe des RFIFaktors
noch wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen.
7. Wie schätzt der Senat Empfehlungen des Deutschen
Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) vom April 2015
ein, den bisher gebräuchlichen RFI-Faktor für die „nonCO2-Emissionen“
des Luftverkehrs durch den präziseren
„Average Temperature Response“ (atr-Faktor) zu ersetzen,
der für einen Prognosezeitraum von 50 Jahren die
Klimabelastungen durch non-CO2–Emissionen im Verhältnis
zu den rein treibstoffbezogenen CO2-Emissionen
des Luftverkehrs um den Faktor 3,5 (für 20 Jahre Faktor
7,6) erhöht?
Zu 7.: Das vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) geförderte und vom Deutschen Zentrum
für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchgeführte Projekt
„AviClim“ („Including Aviation in International
Protocols for Climate Protection“) hat die Machbarkeit
der Einbeziehung aller klimarelevanten Emissionen des
Luftverkehrs in internationale Klimaschutzprotokolle und
die damit verbundenen ökonomischen und ökologischen
Effekte umfassend analysiert und ist damit im Besonderen
geeignet, zur politischen Willensbildung auf nationaler
und internationaler Ebene beizutragen.
9. Wie bewertet der Senat das Luftverkehrskonzept
Berlin-Brandenburg des Umweltverbandes BUND Landesverband
Berlin vom April 2016 hinsichtlich des Vorschlags,
die Klimabelastungen der Berliner Flüge verursachergerecht
bis zum End- bzw. Zielflughafen zu berücksichtigen,
womit der Berliner Flugverkehr bereits
heute (bei rund 32 Mio. Fluggästen) die Klimawirkung
des gesamten Berliner Fahrzeugverkehrs überträfe?
Zu 9.: Der Senat hält zur Berechnung der vom Land
Berlin verursachten klimarelevanten Luftverkehrsemissionen
die zurückgelegten Personenkilometern bzw.
Frachtkilometer der von TXL und SXF bzw. BER abgehenden
Flüge für sachgerecht. Dies ist allerdings aufgrund
der fehlenden nationalen Berechnungsmethodik zzt. noch
nicht anwendbar. Im Rahmen des vom Bund derzeit zu
erarbeitenden nationalen Luftverkehrskonzepts werden
entsprechende Regelungen geprüft.
10. Wie bewertet der Senat die im „Exkurs zum Luftverkehr“
und die im Luftverkehrskonzept des BUND
vorgeschlagenen Maßnahmen für eine signifikante Senkung
der Klimabelastungen des Luftverkehrs und werden
diese im künftigen BEK berücksichtigt?
Zu 10.: Da der Luftverkehr ordnungsrechtlich maß-
geblich auf Bundesebene gestaltet wird, sind die Einflussmöglichkeiten
des Landes Berlin gering. Insofern ist
in Bezug auf die Reduzierung der Luftverkehrsemissionen
eine gemeinsame Strategie der Länder Berlin und Brandenburg
sowie dem Bund erforderlich.
11. Wie bewertet der Senat grundsätzlich den zukünftig
vorgesehenen Ausbau des BER unter dem Aspekt der
Klimabelastungen des Luftverkehrs bis 2020 und 2050
(klimaneutrale Stadt)?
Zu 11.: Der Planfeststellungsbeschluss Ausbau Verkehrsflughafen
Berlin-Schönefeld vom 13.08.2004 basiert
auf einer umfassenden Bewertung aller Schutzgüter. Er
lässt eine maximale Kapazität des Flughafens BER bis zu
360.000 Flugbewegungen pro Jahr zu. Eine Überschreitung
würde ein neues Genehmigungsverfahren unter Einschluss
auch der klimapolitischen Auswirkungen erforderlich
machen.
Berlin, den 17. Februar 2017
In Vertretung
J e n s – H o l g e r K i r c h n e r
…………………………..
Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Feb. 2017)